Sonntag, 22. April 2012


Samstag, 21. April

Meine Gastfamilie und die Sache mit der Heirat

Heute möchte ich gerne meine Gastfamilie vorstellen. Ich wohne für den ersten Monat meines Aufenthaltes in Dushanbe (der Hauptstadt von Tadschikistan, was wahrscheinlich inzwischen schon jedem klar geworden ist) in einer kleinen Mahalla (Nachbarschaft) relativ zentral, nur ein paar Gehminuten von der Hauptstraße entfernt. Als ich vor drei Jahren das erste Mal für eine Exkursion in Geographie nach Tadschikistan gekommen bin, hat unsere Gruppe auch hier gewohnt, aufgeteilt auf acht oder neun Familien. 

Das ist nun also meine Familie:

Meine Gastfamilie :)

Die etwas grimmig dreinblickende Dame ganz links ist die Frau eines Nachbarn, der Professor für Deutsch ist und bei dem sehr häufig Wissenschaftler aus Deutschland wohnen. In Wirklichkeit ist die Nachbarsfrau gar nicht so grimmig und wir haben und schon einige Male ziemlich kaputt gelacht bei dem Versuch uns gegenseitig Dinge zu erzählen und dem jeweils anderen händeringend klar zu machen was wir meinen. Daneben sitzen die Schwiegertochter des zweitältesten Sohnes, Tochter, Muddi, Vaddi und die Schwiegertochter des ältesten Sohnes mit dem jüngsten ihrer drei Kinder. Nicht auf dem Foto sind die ältere Tochter (sie ist verheiratet und wohnt auf dem Land), die beiden Männer der Schwiegertöchter, zwei weitere Söhne und die zwei älteren Kinder der ersten Schwiegertochter. In Tadschikistan wird meist im Haus auf dem Boden gegessen (mit Sitzmatten und Tischdecke – versteht sich), in den wärmeren Monaten steht aber in fast jedem Hinterhof ein sogenannter Taptschan, so etwas wie ein großes Tagesbett, auf dem die Familie dann sitzt und isst. 

Eine ganz schön große Familie, was? Die Gesellschaft in Tadschikistan ist ein wenig anders gestrickt als bei uns in Deutschland. Viele Tadschiken werden hier immer noch von ihren Eltern verheiratet. Die Mädchen sind zwischen 17 und 20 Jahren alt, 23 Jahre sind zum Beispiel schon recht spät. Die Heirat geschieht eher selten aus Liebe, und selbst wenn sich zwei junge Menschen sehr mögen, dann brauchen sie immer noch die Zustimmung ihrer Eltern. Nach der Hochzeit geht die Frau zur Familie ihres Mannes. Nicht nur, dass sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden, viele der jungen Frauen leiden besonders unter ihren Schwiegermüttern, die meist auch einen starken Einfluss auf ihre Söhne haben. Für manche Frauen, die in der Stadt aufgewachsen sind, ist der Gedanke an einen Mann auf dem Land verheiratet zu werden entsetzlich und sehr beängstigend. Aber umgekehrt muss es vielleicht auch nicht besser sein. Das Paar bleibt so lange bei der Familie leben, bis der Sohn sich eine eigen Wohnung oder ein eigenes Haus leisten kann, was manchmal sehr lange dauern kann. 

Ich möchte alle Leser bitten sich kein vorschnelles Urteil darüber zu erlauben, ob diese „Heiratspraktiken“ möglicherweise scheinbar schlechter sind als bei uns. Die Gesellschaft hier ist vollkommen anders aufgebaut. Ein einfaches oberflächliches Vergleichen von bestimmten Regeln und Normen, ohne umfassend den tieferen Hintergrund zu beachten ist hier wirklich nicht angebracht, und wenn ich es mir recht überlege, nicht einmal möglich. Es wäre fatal zu glauben man könnte unsere Gesellschaftsform einfach auf diese Gesellschaft übertragen. Auch wenn die jungen Leute häufig unter den starken gesellschaftlichen Einschränkungen leiden, würde das, was bei uns scheinbare Freiheit und Individualismus bedeutet, hier zu großer Vereinsamung und Haltlosigkeit führen. Die Gesellschaft in diesem Land ist sehr stark an Familiennetzwerke gebunden, die den Einzelnen einerseits zwar erheblich einengen, ihm andererseits aber auch einen Halt bieten, ohne den er sonst – ja – irgendwie verloren wäre. 

Schwiegertochter mit ihren drei Kindern und dem jüngsten Sohn der Familie

Zum Glück habe ich eine recht fröhliche und liberale Familie „erwischt“, bei der sich die Schwiegertöchter, wie es scheint, sehr wohl fühlen und man oft lacht. Natürlich gibt es auch mal Streit oder Tage an denen die Kinder ununterbrochen quängeln (wie bei uns eben auch), aber dafür, dass hier so viele Leute auf relativ engem Raum zusammenleben, läuft alles erstaunlich ruhig und gut gelaunt.

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