Samstag, 21. April
Meine Gastfamilie und die Sache mit der Heirat
Heute möchte ich gerne meine
Gastfamilie vorstellen. Ich wohne für den ersten Monat meines Aufenthaltes in
Dushanbe (der Hauptstadt von Tadschikistan, was wahrscheinlich inzwischen schon
jedem klar geworden ist) in einer kleinen Mahalla (Nachbarschaft) relativ
zentral, nur ein paar Gehminuten von der Hauptstraße entfernt. Als ich vor drei
Jahren das erste Mal für eine Exkursion in Geographie nach Tadschikistan gekommen
bin, hat unsere Gruppe auch hier gewohnt, aufgeteilt auf acht oder neun
Familien.
Das ist nun also meine Familie:
Meine Gastfamilie :) |
Die etwas grimmig dreinblickende Dame
ganz links ist die Frau eines Nachbarn, der Professor für Deutsch ist und bei
dem sehr häufig Wissenschaftler aus Deutschland wohnen. In Wirklichkeit ist die
Nachbarsfrau gar nicht so grimmig und wir haben und schon einige Male ziemlich
kaputt gelacht bei dem Versuch uns gegenseitig Dinge zu erzählen und dem jeweils
anderen händeringend klar zu machen was wir meinen. Daneben sitzen die
Schwiegertochter des zweitältesten Sohnes, Tochter, Muddi, Vaddi und die
Schwiegertochter des ältesten Sohnes mit dem jüngsten ihrer drei Kinder. Nicht auf
dem Foto sind die ältere Tochter (sie ist verheiratet und wohnt auf dem Land),
die beiden Männer der Schwiegertöchter, zwei weitere Söhne und die zwei älteren
Kinder der ersten Schwiegertochter. In Tadschikistan wird meist im Haus auf dem
Boden gegessen (mit Sitzmatten und Tischdecke – versteht sich), in den wärmeren
Monaten steht aber in fast jedem Hinterhof ein sogenannter Taptschan, so etwas
wie ein großes Tagesbett, auf dem die Familie dann sitzt und isst.
Eine ganz schön große Familie, was? Die
Gesellschaft in Tadschikistan ist ein wenig anders gestrickt als bei uns in
Deutschland. Viele Tadschiken werden hier immer noch von ihren Eltern
verheiratet. Die Mädchen sind zwischen 17 und 20 Jahren alt, 23 Jahre sind zum
Beispiel schon recht spät. Die Heirat geschieht eher selten aus Liebe, und
selbst wenn sich zwei junge Menschen sehr mögen, dann brauchen sie immer noch
die Zustimmung ihrer Eltern. Nach der Hochzeit geht die Frau zur Familie ihres
Mannes. Nicht nur, dass sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden,
viele der jungen Frauen leiden besonders unter ihren Schwiegermüttern, die meist
auch einen starken Einfluss auf ihre Söhne haben. Für manche Frauen, die in der
Stadt aufgewachsen sind, ist der Gedanke an einen Mann auf dem Land verheiratet
zu werden entsetzlich und sehr beängstigend. Aber umgekehrt muss es vielleicht
auch nicht besser sein. Das Paar bleibt so lange bei der Familie leben, bis der
Sohn sich eine eigen Wohnung oder ein eigenes Haus leisten kann, was manchmal
sehr lange dauern kann.
Ich möchte alle Leser bitten sich kein vorschnelles Urteil
darüber zu erlauben, ob diese „Heiratspraktiken“ möglicherweise scheinbar
schlechter sind als bei uns. Die Gesellschaft hier ist vollkommen anders aufgebaut.
Ein einfaches oberflächliches Vergleichen von bestimmten Regeln und Normen, ohne
umfassend den tieferen Hintergrund zu beachten ist hier wirklich nicht
angebracht, und wenn ich es mir recht überlege, nicht einmal möglich. Es wäre
fatal zu glauben man könnte unsere Gesellschaftsform einfach auf diese
Gesellschaft übertragen. Auch wenn die jungen Leute häufig unter den starken gesellschaftlichen
Einschränkungen leiden, würde das, was bei uns scheinbare Freiheit und
Individualismus bedeutet, hier zu großer Vereinsamung und Haltlosigkeit führen.
Die Gesellschaft in diesem Land ist sehr stark an Familiennetzwerke gebunden,
die den Einzelnen einerseits zwar erheblich einengen, ihm andererseits aber auch
einen Halt bieten, ohne den er sonst – ja – irgendwie verloren wäre.
Schwiegertochter mit ihren drei Kindern und dem jüngsten Sohn der Familie |
Zum Glück habe ich eine recht
fröhliche und liberale Familie „erwischt“, bei der sich die Schwiegertöchter,
wie es scheint, sehr wohl fühlen und man oft lacht. Natürlich gibt es auch mal
Streit oder Tage an denen die Kinder ununterbrochen quängeln (wie bei uns eben
auch), aber dafür, dass hier so viele Leute auf relativ engem Raum zusammenleben,
läuft alles erstaunlich ruhig und gut gelaunt.
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