Samstag, 30. Juni 2012


Samstag, 30. Juni

Leben im Riesen-Streichelzoo-Paradies


Wie ich schon erzählt habe, liegt unser Dorf auf 2400 Metern. In dieser unwirtlichen Natur gibt es nur wenig Platz um Felder zu bestellen. 

Die Erde für die Felder vor dem Dorf wurde extra von außerhalb hierhergebracht

Deswegen bauen die Menschen dort nur wenig Gemüse an und haben sich auf Tierhaltung spezialisiert: Ziegen, Schafe, Kühe und Hühner. Nachdem gerade Frühling ist, gibt es viele Jungtiere und das Dorf ist für uns wie ein einziger riesiger Streichelzoo. Allerdings sind die argwöhnischen Tiermütter natürlich auch nie sehr weit…
Dieses kleine Ding hier zum Beispiel ist gerade mal einen Tag alt:

Putzig, gell?
Und seine Mutter ist eine wahre Abgrasmaschine. Innerhalb weniger Tage hat sie jedes bisschen Grün um unser Haus herum niedergemäht. 

Mampf!!!
Und schöne kleine braune Kälber gibt es zuhauf.

Als wir einmal bei einer sehr netten Familie zum Interview sind, sammelt die Frau ein paar Küken in eine Schüssel und bringt sie uns ins Haus. Es dauert nicht lange und die besorgte Mutter der Kleinen steht laut gackernd auf der Türschwelle.

Eine Handvoll "Flausch" ...
... und die besorgte Mutter.

Anders als bei uns in Deutschland, wo auf den Dörfern der Stall meist direkt zum Hof gehört, haben die Menschen die Ställe hier weiter weg von ihrem Lebensbereich gebaut. Und so sieht man zwischen den Wohnhäusern immer wieder Gruppen von kleinen, graubraunen, fensterlosen Hütten. 

Die Ställe sind ohne Fenster und dunkel, aber über Nacht hätten die Tiere ja so oder so kein Licht.

Weil das Leben in den Bergen nicht viel Überfluss bietet, nutzen die Menschen so gut wie alles, was die Natur ihnen gibt. Weggeworfen wird fast nichts. Beinahe der gesamte Müll wird verbrannt, Tee- und Essensreste werden den Tieren als Futter gegeben und die Kuhfladen werden in der Sonne getrocknet und im Winter als Heizmaterial verwendet. 

Alltäglicher Anblick: Stapel von getrockneten Kuhfladen
Warum das alte Auto verschrotten, wenn man es auch als Kuhfladengrill verwenden kann?

Viele der Bewohner treiben ihre Tiere jeden Tag selber zum Futterplatz, aber es gibt auch viele, die ihre Tiere in die Obhut von Hirten geben und ihnen für jedes Tier pro Monat einen bestimmten Betrag zahlen. Alle paar Tage kommen die Hirten mit dieser großen Herde durch das Dorf, auf dem Weg zu einem neuen Futterplatz, und  das ist dann sogar für die Dorfbewohner selber jedes Mal wieder ein abwechslungsreiches Ereignis. 

Eine Frau bringt ihre Ziegen zum Futterplatz
Abwechslung vom Alltag: die große Herde kommt durchs Dorf

Weil der Weg zu den Feldern oder Weiden in den Bergen sehr beschwerlich ist, nutzen die Bewohner natürlich Reittiere, und zwar keine Pferde, sondern Esel. Pferde sind hier eher selten und so hört man jeden Tag immer wieder ein lautes „iaaa“ aus den umliegenden Höfen. Leider sind die meisten Esel nicht sonderlich zutraulich und lassen sich nicht so gerne und viel streicheln, wie man das selber vielleicht möchte.
 
Der lokale Mercedes

Freitag, 29. Juni 2012


Donnerstag, 28. Juni

Essen


Heute möchte ich ein wenig ausführlicher über unser Essen im Dorf schreiben. Nachdem wir dort nicht viel mehr zu tun haben als zu arbeiten, schlafen und eben zu essen, ist das für meine Forschungshelferin und mich ein wichtiger Teil unseres Alltags. Wenn man bei Tadschiken zu Gast ist, sind sie vor allem immer um das leibliche Wohl besorgt, und wenn man nicht viel oder gar überhaupt nichts isst, dann sind sie schnell vor den Kopf gestoßen und denken, sie hätten nicht alles getan, dass man sich bei ihnen wohl fühlt. Der Trick ist, dass man so langsam wie möglich isst, nur ganz kleine Bissen nimmt und zwischendurch immer wieder Pausen macht. Denn selbst, wenn man wirklich viel und lange gegessen hat kommt bis zum Schluss die Aufforderung „Gired“ (Nehmen Sie!), „Chured“ (Essen Sie!). Leider habe ich bis heute nicht gelernt, diesen Trick zu beherzigen und darüber hinaus ist meine Forschungshelferin nicht sehr hilfreich, denn sie hält sich sehr oft gar nicht an die Verhaltensregeln und lässt – während ich versuche so viel wie möglich von dem zu essen, was man mir vorsetzt – nicht selten die Hälfte einfach stehen. 

Wenn man auf dem Dorf zu Gast ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass für einen eine Ziege oder ein Schaf geschlachtet wird. So auch bei uns. Am zweiten oder dritten Tag als ich vormittags einmal von der Toilette komme, steht ein nettes Schaf auf der Veranda und blökt mich freundlich an. Als ich etwa eine viertel Stunde später zum Fenster hinausblicke, liegt es, schon leicht tot, auf dem Boden.  Obwohl wir unserer Familie immer wieder beteuert haben, dass wir nicht so viel Fleisch essen, gibt es die nächsten Tage natürlich sehr viel von selbigem. Zum Glück kochen sie auch Kartoffeln oder Nudeln dazu und so können wir  um das Fleisch herumessen und zumindest einen Teil davon liegen lassen. An einem Abend sitzen wir mit unserer Familie nach dem Essen zusammen und versuchen wieder zu erklären, dass wir nur selten Fleisch brauchen. Ich erkläre, dass es in Deutschland sehr viele Menschen gibt, die wenig oder gar kein Fleisch essen. Darauf meint unsere Gastmutter, dass wir gute, weil „günstige“ Gäste wären, und dass es kein Wunder sei, dass Deutschland ein so reiches Land ist, wenn die Leute dort nur wenig Fleisch essen. M und ich freuen uns schon, weil wir glauben, dass wir ab sofort fleischloses Essen bekommen. Wie sehr wir uns täuschen sollten, denn am nächsten Tag gibt es zum Mittagessen das hier: 

Einen Happen Schaf gefällig?

Erst, nachdem wir das Essen dieses Mal, entgegen aller Benimmregeln, sofort zurückgeben, bekommen wir für die restliche Zeit tatsächlich nur noch „vegetarisch“ – was so viel heißt wie, dass zwar alles mit Fleisch gekocht, aber ohne oder nur mit vereinzelten Fleischbröckchen serviert wird. Damit können wir leben.

Neue kleine Freunde?


Eines Morgens kommen wir nach dem Aufstehen aus unserem Zimmer und sehen in der Sonne ein Kraut trocknen. M erkennt es sofort als Kamut, eine Heilpflanze, die die Verdauungsorgane durchputzt und auch gegen Würmer helfen soll. Nachdem ich mir von M ein paar „Horrorgeschichten“ auf nüchternen Magen angehört habe (vielleicht waren die Geschichten gar nicht so schlimm, aber im Halbschlaf hat meine Fantasie noch den Rest dazugegeben), bin ich fest davon überzeugt, diese neuen Mitbewohner zu haben. Deswegen ziehen wir am Nachmittag mit unserer Gasttochter los, über steile Wege, damit wir für uns auch so ein Büschel Anti-Wurm-Kraut holen. Und am nächsten Tag gibt es das Ganze dann gekocht, zusammen mit Brot. Nach dem ersten Bissen verstehe ich, warum sich selbst Würmer damit aus dem Staub machen. Trotzdem essen wir tapfer einen Großteil davon auf.

Wer Würmer nicht mag wird Kamut lieben ...

Milch – und was man so alles daraus machen kann


Scheinbar teilen sich in unserem Dorf mehrere Familien den Milchertrag ihrer Kühe und so bekommt unsere Familie alle zwei, drei Wochen drei Tage lang ganz früh morgens einen riesigen Topf voll Milch. Die wird erst einmal heiß gemacht, und wir bekommen jeder eine Schale davon zum Frühstück. Dann wird die abgekühlte Milch in einem Fass von Hand mindestens eine Stunde lang geschlagen. Die Butter, die daraus entsteht, schmeckt echt lecker. 

Butter machen ist für die Frauen im Dorf noch wirklich harte Arbeit

Frische Butter von (hoffentlich) glücklichen Kühen - yummy yummy!

Ein paar Tage lang gibt es ganz frischen Joghurt (Tschurghot) und danach wieder den sauer vergorenen Tschakka (der aussieht wie Sahnequark). Zu Nudeln und Kartoffeln schmecken die beiden eigentlich richtig gut. Außerdem wird aus der Milch Kurut hergestellt. Das sind Kugeln aus einer eingekochten salzigen Milchmasse, die in der Sonne getrocknet und im Winter in Milch oder Wasser wieder aufgelöst werden. Aber die Leute (in der Stadt) essen sie auch gerne zu einem Bier oder knabbern sie einfach nebenher. Sie müssen wohl sehr intensiv schmecken und ich habe mich, ehrlich gesagt, noch nicht an sie herangetraut.
 
Schaut eigentlich richtig verführerisch aus, was? Wie Baiser oder Kokosmakronen

Ein weiteres Highlight unserer Ernährung ist zum Frühstück eine halbe Müslischale voll dickflüssiger Kondensmilch, mit etwas Brot zum Eintunken. Hier ein Beweisfoto. Ich meine, das Zeug ist wirklich lecker, aber genauso gut könnte ich ein halbes Schälchen mit Zucker essen, oder? 

Irgendetwas stimmt hier an dem Tee-Kondensmilch-Verhältnis nicht

Apropos Zucker, die meisten Tadschiken lieben ihren Tee sehr süß (außer im Pamir, da gibt es vor allem Schirtschoi, einen Tee mit Milch oder Butter und Salz). Vielleicht ist das der Grund, warum der Würfelzucker hier ganz andere Dimensionen hat als bei uns. Und auch der Kandiszucker kommt in etwas größeren Stücken daher.

WürfelzuckerSTÜCKE...

... und KandiszuckerBROCKEN

Und dann liegt da jeden Tag noch etwas auf unserem Tisch, was mich immer wieder freut, wenn ich es sehe: Kekse in Handy-Form und sms-Kekse. Das ist doch super, oder? Ich meine, wer kann in Deutschland schon sagen: „Du, ich habe heute drei sms und zwei Handys gegessen“?

Meine Favoirten auf dem gedeckten Tisch :)

Mittwoch, 20. Juni 2012


Mittwoch, 20. Juni

Dorfimpressionen 


Weil unser Dorfalltag nicht sonderlich aufregend ist, will ich heute einfach ein paar Fotos zeigen. Leider regnet es diesen Frühling/Sommer recht häufig, aber wenn die Sonne zwischendurch scheint, ist es wirklich wunderschön.  Eigentlich hat das Dorf auch bei Regen seinen ganz eigenen Charme, das einzige was wirklich dumm ist, ist die Sache, dass die Toilette so weit vom Haus entfernt liegt. Morgens ist es meist recht kühl, vor allem in den Zimmern. Und tagsüber fällt gerne einmal der Strom aus, manchmal haben wir bis zum späten Nachmittag kein Licht. Das wäre gar nicht so schlimm, aber dadurch konnten wir schon zwei Mal nicht an unseren Interviews weiter arbeiten, weil der Akku des Notebooks  nach zwei, drei Stunden leer war. Und einmal musste ich mir in der fast dunklen Waschkammer die Haare waschen. Zum Glück haben alle Familien im Dorf eine Feuerstelle und so können die Leute in solchen Fällen trotzdem  Essen kochen und Wasser warm machen.

Weiter oberhalb des Dorfes teilt sich der Fluß Jaghnob ...
... und fließt teilweise durch das Dorf, teilweise links daran vorbei. Das Dorf selber besteht aus einem unteren und einem oberen Teil. Letztes Jahr waren Archäologen aus Italien da und haben Funde gemacht, die auf eine 4000-jährige Geschichte des Dorfes hinweisen.
Der linke Flusszweig ist viel größer, als der Bach, der durch das Dorf fließt und das Rauschen begleitet einen Tag und Nacht.
Das ist nur eine der etwas abenteuerlichen Brücken, die immer wieder im Dorf zu finden sind.
Einer unserer Interviewpartner hat ganz weit oben im Dorf, kurz unterhalb der Felswand, gewohnt und von der Terrasse aus hatte man diesen wunderschönen Blick.
Auch wenn es oft geregnet hat und unser Hausberg manchmal sehr gespenstisch ausgesehen hat ...
... konnte die Sonne die Wolken immer wieder vertreiben und so dem Frühling zum endgültigen Durchbruch verhelfen.
Neben dem beeindruckenden Anblick von Blumenwiesen, wie man sie eigentlich nur noch aus dem Heidi-Film kennt ...
... ausladend blühenden Apflebäumen ...
... und grünen Aprikosenbaumhainen, waren es auch die kleinen Dinge, die dem Frühlingserwachen den "lezten Schliff" gegeben haben, zum Beispiel ...
... vom Tau bedeckte Grashalme, die in der Morgensonne glitzern, oder ...
... eine einzelne Blume, die der kargen Umwelt zum Trotz ein bisschen Farbe in das Grau der Steine bringt.
Auf unseren Spaziergängen sind wir auch am Friedhof des Dorfes vorbeigekommen.
Und dieses Foto könnte ja nun wirklich auch aus den bayerischen Bergen stammen, oder?

Montag, 18. Juni 2012


Montag, 18. Juni   

Unser Dorfalltag


Nachdem sich unsere Arbeit im Dorf ein bisschen gelichtet hat, habe ich auch wieder Zeit für den Blog zu schreiben. Unser „Alltag“ hat sich recht schnell eingeschliffen und sieht, mit kleinen Abweichungen, eigentlich immer gleich aus. 

Unsere Gastfamilie steht zwischen viertel nach vier und fünf Uhr auf, je nachdem ob sie auf die Hochweide oder ein weiter entferntes Feld gehen müssen oder nicht. Ich würde ja auch gerne so früh aufstehen, aber irgendwie wache ich immer erst zwischen halb sechs und sechs Uhr auf. Dann stehen meine Forschungshelferin (ich nenne sie ab sofort M) und ich auf und räumen unsere Betten weg. 

Morgensonne am klaren Himmel. Wenn es nicht regnet, ist es im Dorf wirklich wunderschön!
Auch über den Blick aus unserem Fenster kann man sich nicht wirklich beschweren...

Das klingt zunächst ein wenig seltsam, aber unsere Betten bestehen aus drei oder vier übereinanderliegenden Kurpatschas (das sind dicke Sitzmatten für den Boden), und zwei warmen Zudecken. Und dort, wo wir nachts liegen, befindet sich tagsüber immer unser „Tisch“. 

Nachts Schlafplatz...
... und tagsüber reich gedeckter Dastarchan.

Nachdem wir also unsere Tagessitzdecken hergerichtet haben, wird der Dastarchan ausgebreitet, eine Tischdecke für den Boden. Und der wird gedeckt mit allen möglichen Leckereien: Brot, Butter, Tee - und mindestens zehn kleinen Tellern mit Süßigkeiten. Das ist nicht besonders hilfreich für mich. Denn gerade Süßigkeiten esse ich wahnsinnig gerne. Und bei so einer Arbeit, wie Interviews vom Band abtippen, ist der regelmäßige Griff zum Tisch beinahe unvermeidlich. Nachdem wir auch fast nur rumsitzen und uns nicht viel bewegen, habe ich nach ein paar Wochen leider gleich mal einige Kilo mehr auf den Hüften. Na Bravo!

Vor dem Frühstück gehen wir allerdings zuerst in das Wäschkämmerchen, das in der Nähe der Toilette ist, und das halbe Dorf sieht immer ganz genau, wann wir aufgestanden sind. Nach dem Frühstück machen wir entweder Interviews oder tippen die Interviews, die wir schon gemacht haben, ab. Mittagessen gibt es immer recht früh, manchmal schon um viertel nach zehn, meist aber um elf oder halb zwölf. Dafür gibt es das Abendessen erst um acht oder halb neun. Nach dem Zähneputzen arbeiten oder lesen wir noch ein bisschen, und dann geht es auch schon wieder ins Bett. 

Manchmal gehen wir tagsüber spazieren, aber nachdem der Gastsohn nach einer Woche wieder nach Dushanbe zurückgefahren ist, haben wir niemanden mehr, der uns „ablenkt“ und so arbeiten wir brav und fleißig vor uns hin. 

Das ist übrigens unsere Zimmerdecke. Hübsch, oder?

Immer, wenn ich zur Toilette gehe, muss ich an zwei Häusern vorbeigehen. Auf der rechten Seite wohnt eine Familie mit kleinen Kindern. Irgendwie hat sich der Sohn in mich „verliebt“ und wenn er sieht, dass ich auf dem Weg zum stillen Örtchen bin, rennt er lachend so schnell wie möglich vor mir her und stellt sich in die Toilette. Dort muss ich ihn dann erst rausheben und ganz schnell die Türe zu machen, damit er ja nicht wieder reinkommt. Er wartet geduldig bis ich fertig bin und wir gehen zusammen den Weg hoch, zurück zum Haus. Und wenn ich meine Hände am Brunnen wasche, hält er mir auch seine kleinen Hände hin, damit ich sie ein bisschen mitwasche. Natürlich - denn Sauberkeit muss schließlich sein :)

Das ist das Haus ...
... in dem der kleine Junge und seine Schwester wohnen.

Bei dem Haus auf der linken Seite sitzt meist ein altes Ehepaar auf der Veranda. Ich sehe sie zwar immer schon von Weitem, aber erst wenn ich nah genug bin bleibe ich kurz stehen, lege meine Hand auf die Brust, verbeuge mich leicht, sage „Assalom“ und gehe, während sie mir auch zunicken, meines Weges. Ich finde die beiden so unglaublich sympathisch, dass ich sie am liebsten, zusammen mit ihrer Bank, mit nach Deutschland nehmen würde. Als ich sie gefragt habe, ob ich ein Foto von ihnen machen kann, hat sich der alte Mann zuerst eine andere Kopfbedeckung bringen lassen, dann hat er sein Gesicht mit den Händen abgewischt (obwohl es gar nicht sichtbar schmutzig war) und schließlich noch ausführlich seinen Bart hergerichtet, während seine Frau dasaß und keine Anstalten gemacht hat, sich für das Bild extra schön zu machen. Wie lustig :)

Und das ist das alte Ehepaar. Zum Knuddeln!!

Sonntag, 3. Juni 2012


Sonntag, 3. Juni

Sechs Wochen lang „ohne Zivilisation“


Eigentlich bin ich ja zum Arbeiten nach Tadschikistan gekommen und wollte dafür zuerst in Dushanbe und dann auf einem Dorf Interviews führen. Aber es hat eine kurzfristige Planänderung gegeben (wie soll’s auch anders sein in Tadschikistan?) und nun bin ich für etwa sechs Wochen auf dem Land, oder besser gesagt in den Bergen. 

Das Dorf liegt nördlich von Dushanbe im Zerafshangebirge auf 2400 m. Früher musste man, um dorthin zu kommen, über einen Pass bis nach Anzob fahren, nach Osten abbiegen, und nach etwa einer halben Stunde holprigen Weges war man dann da. Heute gibt es einen „komfortablen“ Tunnel durch das Gebirge, mit dem man in der Nähe von Ajni rauskommt. Der Tunnel ist ein Erlebnis für sich. Er ist fast vollkommen dunkel. Die Straße ist am Anfang noch einigermaßen in Ordnung. Zwischendurch hängen ein paar nackte, grelle Glühbirnen von den Wänden und immer wieder hört man lautes Motorengeräusch näher kommen, bis man schließlich einige Arbeiter sieht, die mit großen Maschinen an der Verbesserung der Straße arbeiten.  Diese wird nämlich nach ein paar Minuten Fahrt zunehmend schlechter, die Schlaglöcher spürbar größer und das Wasser am Boden immer tiefer. Vor und hinter uns fährt zum Glück jeweils ein Jeep, dadurch ist es nicht ganz so dunkel. Aber die Luft ist diesig von den Abgasen der Autos, das  Abluftsystem scheint nicht besonders gut zu funktionieren. Es ist als würde man durch einen finsteren Wald fahren, aber am Straßenrand sind keine Bäume, sondern Steinwände, und je tiefer wir in den Berg hineinfahren, desto mehr fühle ich mich wie in Moria. Gleich werden wir ihn wecken, mit unserem Autolärm, den Balrog von Khazad-dum… 

Eigentlich wollten wir den klassischen Weg über den Anzob-Pass nehmen, aber leider ist der Fahrer, der am Tag zuvor „angeheuert“ worden war, nicht aufgetaucht. Wir fahren mit einem anderen Jeep mit, dessen Fahrer allerdings wiederum auf einen weiteren Passagier wartet. Mit zwei Stunden Verspätung geht es schließlich endlich los. 

Der "Sammelplatz Nord": wer in den Norden des Landes fahren will, sollte möglichst früh aufstehen und hierherkommen, um mit einem der Jeeps oder Sammeltaxis nach Ajni oder an einen anderen Ort zu kommen.
Unser Gepäck und das der anderen Fahrgäste wird reisesicher auf dem Dach des Jeeps festgeschnürt.

In Ajni holen uns der Vater und der Bruder des Gastsohnes ab, der mit uns von Dushanbe mitgefahren ist und für eine Woche bei seiner Familie bleiben wird. Auf dem Weg ins Dorf sehen wir schon den „Hausberg“. Letztes Jahr haben an dieser Felswand die Klettermeisterschaften der GUS-Staaten stattgefunden. Und dieses Jahr soll es im Juni oder Juli sogar eine Art Europa-Klettermeisterschaften geben (so ganz verstanden habe ich das nicht und die Leute im Dorf selber wohl auch nicht). Ich bin gespannt, denn ich fände es sehr absurd bis ans Ende der Welt zu fahren, nur um dann einer Horde von Europäern zu begegnen.

Der "Hausberg"...
... des Dorfes, in dem ich die nächsten fünf, sechs Wochen leben werde.

Unsere Gastfamilie ist – wie immer hier in Tadschikistan – äußerst nett und gastfreundlich. Ich bin trotzdem sehr froh eine Übersetzerin dabei zu haben. Und da der Gastsohn auch ein bisschen Deutsch spricht, laufen wir eigentlich jeden Tag  zu dritt durch das Dorf und erkunden auf unseren Spaziergängen die Umgebung. 

Im Dorf selber sieht es manchmal ein bisschen karg aus ...
... aber außenrum ist es meist sehr schön grün.

Der Mann im Internetladen in Dushanbe hatte mir gesagt, dass mein Internetstick hier funktionieren würde. Langsamer, aber immerhin. Nun. Wir sind sogar einen Berg hochgestiegen, um vielleicht möglicherweise ein klitzekleines bisschen Empfang zu bekommen, aber leider: Internet nest (gibt es nicht)!!! Nach zwei Wochen, abgeschnitten von der Aussenwelt, musste ich nun allerdings feststellen, dass der Mann im Laden Recht hatte. Das Internet funktioniert, sogar sehr gut, leider wusste ich nicht, dass ich an dem Stick etwas umstellen muss… *hüstel* Nun bin ich also wenigstens wieder mit der „Zivilisation“ verbunden und kann meine Mails abrufen. Erschreckend, wie schnell man sich an solche Sachen wie das Internet gewöhnt und wie abhängig man schon von ihnen ist!

Ansonsten ist die Natur hier sehr schön. In der ersten Woche hat es noch viel geregnet. Jetzt scheint die Sonne schön warm, aber im Schatten und in den Zimmern ist es sehr kühl. Nachts schlafen wir unter kuschelig warmen Decken und deshalb kann uns die Kälte nichts anhaben. Flöhe gibt es hier zum Glück nicht. Das Plumpsklo hat hier immerhin eine Tür (nicht so bei meiner Gastfamilie in Dushanbe, da ist man vor den Blicken nur durch einen Vorsprung geschützt) und das Bad ist ein Kämmerchen mit Steinboden. Wenn wir uns waschen wollen bekommen wir eine Zinnkanne mit warmem Wasser. Nachts traue ich mich seit kurzem nicht mehr raus, weil uns die Leute erzählt haben, dass es in den Bergen Wölfe und Leoparden gibt und ich vor meinem inneren Auge schon zwei leuchtend rote Augen und lefzende Zähne sehe, von einer Bestie, die nur darauf wartet, dass sie mich kurz vor der Toilettentür anfallen kann…  

Der Blick aus unserem Zimmer
Sehr ihr? Gaaaanz weit hinten unten ist die Toilette. Und das ist nur der halbe Weg...
In diese Kannen bekommen wir immer unsere morgendliche Wasserration zum Waschen.

Auch wenn ich jetzt wieder Internet zur Verfügung habe, werde ich wohl trotzdem leider nicht mehr so viele Beiträge in diesen Blog stellen können, denn die Interviews kosten sehr viel Zeit. Und obwohl mir das Blog Schreiben richtig Spaß macht, ist es doch auch sehr zeitintesiv. Und letztendlich bin ich ja zum Arbeiten hierher gekommen...