Freitag, 20. Juli 2012


Freitag, 20. Juli (Beginn des Ramadan)

Fremdschämen


Eigentlich wollte ich heute ja einen Beitrag über die schönsten und skurrilsten Straßenlaternen von Dushanbe posten. Aber leider ist mir gestern ein Erlebnis der anderen Art wiederfahren, das hier und jetzt verarbeitet werden muss. 

Und zwar war ich in einem Konzert von einer Gruppe aus Deutschland, die vor allem tadschikische, aber auch usbekische und kirgisische traditionelle Volksmusik macht. Nachdem ich davon gehört hatte, dachte ich mir: „Warum nicht? Das könnte ganz interessant werden. Wenn sie wirklich etwas daraus machen?“

Vor dem Kochi Dshomi, dem Kino, in dem auch das Ethno-Jazz-Festival stattgefunden hat, sieht man dann auch so manches deutsche Gesicht. Sogar die Botschafterin ist eingeladen – eine ziemlich coole Frau, die mich, obwohl sie mich vor drei Jahren nur einmal gesehen hat, trotzdem wiedererkennt und freundlich grüßt. Ich treffe mich mit zwei Bekannten und wir gehen zusammen hinein.

Nach der typisch tadschikischen, viel zu lauten Ansage kommt die Gruppe auf die Bühne. Die europäischen Gesichter wirken ein wenig sonderbar in der traditionellen tadschikischen Kleidung, die klischeehafter nicht sein könnte. Aber gut, was soll’s – auf die Musik kommt es ja schließlich an! Die Gruppe legt los und mir zieht es schier meine Pril-Blumen-Schlappen aus (ja, meine neueste Errungenschaft: Schlappen mit je drei Blumen darauf, die wie die Abziehbilder auf den Pril-Flaschen aussehen. Schmuckloseres war hier leider nicht zu finden. Die tadschikischen Frauen mögen nämlich Blumen und Glitzer sehr gerne!).

Willst du viel, geh mit Pril ... höhö ...  :)

… aber ich verliere mich in unwichtigen Einzelheiten, ich wollte ja schließlich von der Gruppe berichten. Die traditionelle tadschikische Musik klingt für europäische Ohren manchmal ein wenig fremd. Sie ist orientalisch, gelegentlich auch etwas monoton, aber das wird ausgeglichen durch die Art, wie die Menschen die Instrumente spielen und vor allem durch die Stimme des Sängers oder der Sängerin, in der sich die Feinheiten des tadschikischen Lebens und die Vielfalt der Kultur des Landes wiederspiegeln. Außerdem bewegen sich die Künstler sehr graziös und rhythmisch auf der Bühne. 

Was allerdings dort vorne passiert ist … wie soll ich es nur sagen … einfach peinlich. Die Bewegungen sind unbeholfen, die Stimmen eintönig und laut und gerade singen die Frauen und Männer auch nicht. Während die Musiker ihre Instrumente immerhin formell beherrschen, versuchen die zwei Sängerinnen, reichlich befangen, auf der Bühne hin- und her zu wippen und der als Tadschike verkleidete Florian Silbereisen bemüht sich mit saloppen Handbewegungen Stimmung in die Performance zu bringen. Ich weiß auch nicht, aber laut und mit Nachdruck ins Mikrophon zu singen ist nicht gleichbedeutend damit, dass man unter den Zuhörern Stimmung verbreitet, sie mit der Musik berührt und bewegt. Die sonst sehr rhythmischen Lieder sind monoton vorgetragen und reißen im Saal keinen so richtig von den Sitzen. 


                                       Man beachte den neckischen Positionswechsel bei 0:29

Zuerst kann ich wirklich nicht fassen, was da gerade passiert. Dann fühle ich mich leicht amüsiert, bis ich schließlich anfange unkontrolliert zu lachen. Dumm nur, dass schräg hinter mir die Botschafterin sitzt, mit der ich nächste Woche ein Interview habe. Während ich krampfhaft versuche mit dem Lachen aufzuhören und den Fotoapparat aus meiner Tasche zu angeln, um das Schauspiel auf der Bühne zu dokumentieren, ergießt sich leider auch noch der halbe Inhalt meiner nicht richtig verschlossenen Wasserflasche über meinen – zum Glück leeren – Nachbarsitz. Vor mich hin kichernd bemühe ich mich das Missgeschick zu beseitigen, und unterdessen fange ich schließlich an, mich für die Gruppe wirklich fremd zu schämen. Was treibt solche Menschen nur an? Ich finde es ja löblich, dass man fremdes Kulturgut schätzt, es sogar so sehr liebt, dass man diese Musik selber machen möchte. Sich aber auf die Bühne zu stellen und einfach … ja … zu üben, das ist keine Wertschätzung dieser Kultur, sondern eine Beleidigung. Ich überlege mir, wie es wohl wäre, wenn wir in der Philharmonie ein Konzert mit einer Gruppe von Afghanen ... oder Japanern ... oder Ghanern besuchen, die versuchen würden, in Lederhosen und Dirndl gekleidet, mehr schlecht als recht bayerische Landler oder Gschtanzerln zu singen und dazu zu tanzen und zu schuhplatteln. Absurd, oder?

                                         Laaaalaaaalaaaalaaaalaaaaalaaaaaalalala...

In den Reihen vor mir machen sich schon mehrere Tadschiken lustig, einige von ihnen biegen sich bereits vor Lachen über ihren Stuhllehnen. Ich könnte mir das Ganze auch einbilden, aber ein Tadschike in der Reihe vor mir sieht mich fragend an und wir müssen beide einfach nur lachen. Ich werde die nächsten Tage nicht mehr auf die Straße gehen können. 

Zwischendurch kommt eine Tänzerin auf die Bühne. Sie scheint eine echte Tadschikin zu sein. Und selbst, wenn sie auch aus Deutschland kommt, dann ist sie die einzige in der Gruppe, die ihre Kunst wirklich beherrscht. Sie tanzt wunderschön zu dem kratzigen Hintergrundgeräusch, das mich mit der Zeit richtiggehend wütend macht. 

                    Ja, meine Kameraführung ist wirklich berauschend. Aber ich WEIß das wenigstens...

Am Schluss halten meine Bekannten und ich es nicht mehr aus, nach ein paar Liedern gehen wir. Die Botschafterin schaut mich perplex und ein wenig verständnislos an, was natürlich dumm ist, was ich im Moment aber leider auch nicht so richtig ändern kann. Ich muss raus hier! Draußen ist es angenehm lau und nach einem kurzen Spaziergang versuche ich das Ganze bei einem leckeren Abendessen zu Hause bei meiner richtig tadschikischen Familie zu verarbeiten und zu vergessen ... Und ich dachte immer, Foltern wäre inzwischen verboten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen