Sonntag, 3. Juni 2012


Sonntag, 3. Juni

Sechs Wochen lang „ohne Zivilisation“


Eigentlich bin ich ja zum Arbeiten nach Tadschikistan gekommen und wollte dafür zuerst in Dushanbe und dann auf einem Dorf Interviews führen. Aber es hat eine kurzfristige Planänderung gegeben (wie soll’s auch anders sein in Tadschikistan?) und nun bin ich für etwa sechs Wochen auf dem Land, oder besser gesagt in den Bergen. 

Das Dorf liegt nördlich von Dushanbe im Zerafshangebirge auf 2400 m. Früher musste man, um dorthin zu kommen, über einen Pass bis nach Anzob fahren, nach Osten abbiegen, und nach etwa einer halben Stunde holprigen Weges war man dann da. Heute gibt es einen „komfortablen“ Tunnel durch das Gebirge, mit dem man in der Nähe von Ajni rauskommt. Der Tunnel ist ein Erlebnis für sich. Er ist fast vollkommen dunkel. Die Straße ist am Anfang noch einigermaßen in Ordnung. Zwischendurch hängen ein paar nackte, grelle Glühbirnen von den Wänden und immer wieder hört man lautes Motorengeräusch näher kommen, bis man schließlich einige Arbeiter sieht, die mit großen Maschinen an der Verbesserung der Straße arbeiten.  Diese wird nämlich nach ein paar Minuten Fahrt zunehmend schlechter, die Schlaglöcher spürbar größer und das Wasser am Boden immer tiefer. Vor und hinter uns fährt zum Glück jeweils ein Jeep, dadurch ist es nicht ganz so dunkel. Aber die Luft ist diesig von den Abgasen der Autos, das  Abluftsystem scheint nicht besonders gut zu funktionieren. Es ist als würde man durch einen finsteren Wald fahren, aber am Straßenrand sind keine Bäume, sondern Steinwände, und je tiefer wir in den Berg hineinfahren, desto mehr fühle ich mich wie in Moria. Gleich werden wir ihn wecken, mit unserem Autolärm, den Balrog von Khazad-dum… 

Eigentlich wollten wir den klassischen Weg über den Anzob-Pass nehmen, aber leider ist der Fahrer, der am Tag zuvor „angeheuert“ worden war, nicht aufgetaucht. Wir fahren mit einem anderen Jeep mit, dessen Fahrer allerdings wiederum auf einen weiteren Passagier wartet. Mit zwei Stunden Verspätung geht es schließlich endlich los. 

Der "Sammelplatz Nord": wer in den Norden des Landes fahren will, sollte möglichst früh aufstehen und hierherkommen, um mit einem der Jeeps oder Sammeltaxis nach Ajni oder an einen anderen Ort zu kommen.
Unser Gepäck und das der anderen Fahrgäste wird reisesicher auf dem Dach des Jeeps festgeschnürt.

In Ajni holen uns der Vater und der Bruder des Gastsohnes ab, der mit uns von Dushanbe mitgefahren ist und für eine Woche bei seiner Familie bleiben wird. Auf dem Weg ins Dorf sehen wir schon den „Hausberg“. Letztes Jahr haben an dieser Felswand die Klettermeisterschaften der GUS-Staaten stattgefunden. Und dieses Jahr soll es im Juni oder Juli sogar eine Art Europa-Klettermeisterschaften geben (so ganz verstanden habe ich das nicht und die Leute im Dorf selber wohl auch nicht). Ich bin gespannt, denn ich fände es sehr absurd bis ans Ende der Welt zu fahren, nur um dann einer Horde von Europäern zu begegnen.

Der "Hausberg"...
... des Dorfes, in dem ich die nächsten fünf, sechs Wochen leben werde.

Unsere Gastfamilie ist – wie immer hier in Tadschikistan – äußerst nett und gastfreundlich. Ich bin trotzdem sehr froh eine Übersetzerin dabei zu haben. Und da der Gastsohn auch ein bisschen Deutsch spricht, laufen wir eigentlich jeden Tag  zu dritt durch das Dorf und erkunden auf unseren Spaziergängen die Umgebung. 

Im Dorf selber sieht es manchmal ein bisschen karg aus ...
... aber außenrum ist es meist sehr schön grün.

Der Mann im Internetladen in Dushanbe hatte mir gesagt, dass mein Internetstick hier funktionieren würde. Langsamer, aber immerhin. Nun. Wir sind sogar einen Berg hochgestiegen, um vielleicht möglicherweise ein klitzekleines bisschen Empfang zu bekommen, aber leider: Internet nest (gibt es nicht)!!! Nach zwei Wochen, abgeschnitten von der Aussenwelt, musste ich nun allerdings feststellen, dass der Mann im Laden Recht hatte. Das Internet funktioniert, sogar sehr gut, leider wusste ich nicht, dass ich an dem Stick etwas umstellen muss… *hüstel* Nun bin ich also wenigstens wieder mit der „Zivilisation“ verbunden und kann meine Mails abrufen. Erschreckend, wie schnell man sich an solche Sachen wie das Internet gewöhnt und wie abhängig man schon von ihnen ist!

Ansonsten ist die Natur hier sehr schön. In der ersten Woche hat es noch viel geregnet. Jetzt scheint die Sonne schön warm, aber im Schatten und in den Zimmern ist es sehr kühl. Nachts schlafen wir unter kuschelig warmen Decken und deshalb kann uns die Kälte nichts anhaben. Flöhe gibt es hier zum Glück nicht. Das Plumpsklo hat hier immerhin eine Tür (nicht so bei meiner Gastfamilie in Dushanbe, da ist man vor den Blicken nur durch einen Vorsprung geschützt) und das Bad ist ein Kämmerchen mit Steinboden. Wenn wir uns waschen wollen bekommen wir eine Zinnkanne mit warmem Wasser. Nachts traue ich mich seit kurzem nicht mehr raus, weil uns die Leute erzählt haben, dass es in den Bergen Wölfe und Leoparden gibt und ich vor meinem inneren Auge schon zwei leuchtend rote Augen und lefzende Zähne sehe, von einer Bestie, die nur darauf wartet, dass sie mich kurz vor der Toilettentür anfallen kann…  

Der Blick aus unserem Zimmer
Sehr ihr? Gaaaanz weit hinten unten ist die Toilette. Und das ist nur der halbe Weg...
In diese Kannen bekommen wir immer unsere morgendliche Wasserration zum Waschen.

Auch wenn ich jetzt wieder Internet zur Verfügung habe, werde ich wohl trotzdem leider nicht mehr so viele Beiträge in diesen Blog stellen können, denn die Interviews kosten sehr viel Zeit. Und obwohl mir das Blog Schreiben richtig Spaß macht, ist es doch auch sehr zeitintesiv. Und letztendlich bin ich ja zum Arbeiten hierher gekommen... 

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