Freitag, 10. August 2012


Samstag, 11. August

Was eigentlich einmal gesagt werden müsste…


Am Sonntag, den 22. Juli sind in Khorog, der Hauptstadt der östlichen Provinz Tadschikistans, staatliche Truppen eingerückt und in den darauffolgenden zwei Tagen gab es Schusswechsel zwischen Rebellen und den Militärs. Will man den westlichen Medien glauben, wo man über diese Vorfälle nur lesen konnte, wenn man im Internet gezielt nach Tadschikistan gesucht hat, dann ging es natürlich um islamistische Untergrundkämpfer, die in Tadschikistan die Macht an sich reißen wollen und die Nähe zu Afghanistan durfte selbstverständlich auch nicht unerwähnt bleiben. Aber so einfach verhält sich die ganze Sache leider nicht und noch weniger einfach lässt sie sich in dieses beliebte, vorgefertigte Schema pressen. 

Seit dem 22. Juli sind nun über zwei Wochen vergangen, in denen ich mir oft überlegt habe, ob ich über die Vorfälle im Pamir schreiben soll oder nicht. Das ist aber gar nicht so leicht, denn zum einen ist die Verbindung nach Khorog unterbrochen, Festnetztelefone funktionieren zwar meistens wieder, aber die Verbindung zu den Mobilfunktelefonen ist immer noch gekappt, die Informationen fließen spärlich. Aus den Zeitungen erfährt man leider wenig, denn die wichtigsten Internetseiten sind blockiert, darunter auch YouTube und eine relativ staatlich unabhängige Zeitung. Dazu sind alle Mitarbeiter der ausländischen Hilfsorganisationen aus Khorog evakuiert worden und somit steht auch diese Informationsquelle nicht mehr zur Verfügung. Zum anderen ist die Situation sehr komplex und schwierig darzustellen. Ich könnte jetzt sagen, dass das der Hauptgrund dafür ist, warum ich vor dem Schreiben zurückschrecke, aber es ist auch so, dass ich nächstes Jahr sehr gerne wieder hierher zurückkommen möchte …

Tadschikistan ist nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 in einen Bürgerkrieg versunken, der in den Medien gerne als ein Kampf zwischen Kommunisten und Islamisten dargestellt wurde. Allerdings stimmt das nicht. Die tadschikische Gesellschaft funktioniert ganz anders als unsere, sie besteht aus Familienclans, und so war der Krieg vielmehr ein Konflikt regionaler Gruppen, in dem es nicht zuletzt auch um den Zugang zu Ressourcen ging. Ganz einfach gesagt hatte sich der Norden mit dem Süden gegen einen Teil der Bewohner in Zentraltadschikistan und der Region Gorno Badachschan (die einen Großteil des Hochgebirges Pamir bedeckt) verbunden. Während der Kämpfe wurde auch ganz gezielt gegen die ethnische Minderheit der Pamiris (also den Bewohnern von Gorno Badachschan) vorgegangen. 1997 endete der Bürgerkrieg, der neue Präsident (Emomali Rahmon) kam aus dem Süden, die Opposition (verschiedene Parteien, unter anderem die Islamische Partei der Wiedergeburt, die NICHT islamistisch, sondern moderat ist) sollte mit 30 % Beteiligung in die Regierung eingebunden werden. Die Kämpfe haben mehr als 100.000 Todesopfer gefordert, aber selbst solche erschreckenden Zahlen können die Gräuel eines Krieges nicht beschreiben.  Eine Schnell-Zusammenfassung wie diese hier kann wirklich nur einen ersten groben Überblick bieten. 

Seit 1997 kann der Präsident seine Macht im Land halten, das Verhältnis zwischen ihm und seinen Kontrahenten ist ... angespannt. Im Februar nächsten Jahres sind Wahlen, was vielleicht eine Erklärung für die Aktion im Pamir sein könnte. Gorno Badachschan hatte nach dem Krieg seinen Wunsch durchsetzen können, eine autonom regierte Region zu werden, eine Tatsache, die bei der Regierung wohl bis heute immer noch Vorbehalte auslöst. Der Pamir ist ein unwegsames Gebiet und schwer zu kontrollieren. Außerdem verläuft durch den Pamir die Hauptroute für Drogen und andere Schmugglerwaren von Afghanistan nach Russland und Europa. Nicht zuletzt dadurch sind die dortigen ehemaligen Kriegsherren und Oppositionellen wieder stärker und einflussreicher geworden. Grundsätzlich sind die Pamiris aber ein sehr friedliches Volk, die sich mit den nördlichen Afghanen sehr gut verstehen (zur Erklärung: die tadschikisch-pamirische Grenze verläuft über eine lange Strecke an Afghanistan entlang, auf der afghanischen Seite leben auch sehr viele Tadschiken, oft sogar Verwandte der Pamiris auf der tadschikischen Seite). Die meisten werden jetzt wahrscheinlich sofort an al-Qaida und dergleichen denken, aber islamistische Extremisten sind bei den Tadschiken nicht sehr beliebt, weder die Taliban noch die Salafiten. Viele Tadschiken sehen sich als Muslime an, aber nur die allerwenigsten wollen einen muslimischen Staat, die meisten sind mit der Demokratie vollauf zufrieden. Natürlich gibt es auch hier Extremisten (wo gibt es die nicht?), aber sie spielen bei weitem (!!) nicht so eine bedeutenden Rolle, wie in anderen islamischen Staaten.

Am Samstag, den 21. Juli war der regionale Leiter des KGB (oder besser gesagt  von deren Nachfolgeorganisation) im Pamir nach einem Streit mit einem Offizier etwas außerhalb von Khorog getötet worden. Am Sonntag waren mehrere hundert (andere Quellen sprechen von über 2000) Soldaten in Khorog einmarschiert, um die vier Männer, die an dem Mord beteiligt gewesen sein sollen, zu ergreifen und gegen diejenigen mit Waffengewalt vorzugehen, die sich deren Häusern näherten. Nach Protesten durch die Bevölkerung und Rebellen kam es zu Schusswechseln. Die Stadtteile, in denen die gesuchten Männer gewohnt haben, wurde von Hubschraubern aus mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge sind in etwa 60 Menschen bei dem Einsatz gestorben, anderen Angaben zufolge über 200, darunter viele Zivilisten. In den Bergen um Khorog waren unzählige Scharfschützen positioniert. In manchen Zeitungen stand, dass sie auch auf Menschen geschossen haben, nur weil sie in ihren Garten gegangen sind.  

Zwar haben die Rebellen und die Regierung sich nach offiziellen Angaben inzwischen geeinigt, der Präsident verspricht jedem, der sich freiwillig meldet und seine Waffen abgibt, Straffreiheit, bis auf die vier gesuchten Männer, aber letzten Samstag waren die Scharfschützen scheinbar immer noch in den Bergen positioniert, die Mobiltelefone funktionieren weiterhin nicht, das Internet nur sporadisch, die Blockade von YouTube & Co ist noch nicht aufgehoben und seit über einer Woche hört man überhaupt nichts Neues mehr. Wie es scheint, hat sich die Lage wieder beruhigt, wirklich stabil ist sie aber wohl noch nicht. Ausländer dürfen zurzeit nicht mehr nach Gorno Badachschan. Warum nur?

Was soll ich sagen? Da sitzt man zu Hause in Deutschland und hört immer von Krieg und Kämpfen in den Ländern „irgendwo da unten“, sei es nun zum Beispiel Afghanistan oder Pakistan. Jetzt ist es Tadschikistan, und plötzlich kennt man dort Menschen, hat Freunde und Bekannte, hat die Kultur und das Land kennengelernt, lustige und spannende Dinge erlebt, ist durch die Straßen gelaufen, war Einkaufen, war zu Gast bei Leuten, hat an deren Alltag teilgenommen... Ich hoffe sehr, dass die Situation in Khorog nicht noch einmal eskaliert oder gar auf den Westen des Landes übergreift. Momentan ist die Lage allerdings sehr schwer einzuschätzen. Es heißt immer, dass die Menschen in Tadschikistan keinen Krieg mehr wollen, weil ihnen die Erinnerungen an den letzten noch tief in den Knochen sitzen. Aber seit wann wird ein Krieg von den Vielen gemacht? 

Wen die Einzelheiten über die aktuelle Lage wirklich interessieren, dem kann ich gerne versuchen Rede und Antwort zu stehen (ich bin in drei Tagen zurück), auch wenn ich natürlich kein ausgewiesener Experte bin. Und obwohl die meisten Online-Artikel, meiner Meinung nach, die aktuelle Lage oft zu wenig umfassend darstellen, hier ein paar Seiten zum Nachlesen:

Asia Plus (www.asiaplus.tj), EurasiaNet.org (http://www.eurasianet.org/), Radio Free Europe/Radio Liberty (http://www.rferl.org/), RIA Novosti, deutsch (http://de.rian.ru/)
Die Suchbegriffe in den Zeitungen sind im Deutschen „Tadschikistan“ (logo, was sonst?), auf Englisch „Tajikistan“

In dem Blog Registan (http://registan.net/) und auf Qantara (http://de.qantara.de/) finden sich interessante Beiträge, auch auf der Seite Pamirs – the roof of the world (www.pamirs.org; in der rechten Spalte) und dem Blog Tethys (http://www.tethys.caoss.org/).

Und wer Russisch kann ist klar im Vorteil:

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