Samstag, 11. August
Was eigentlich einmal gesagt werden müsste…
Am Sonntag, den 22. Juli sind in Khorog, der Hauptstadt der
östlichen Provinz Tadschikistans, staatliche Truppen eingerückt und in den darauffolgenden zwei Tagen gab es
Schusswechsel zwischen Rebellen und den Militärs. Will man den westlichen
Medien glauben, wo man über diese Vorfälle nur lesen konnte, wenn man im Internet gezielt
nach Tadschikistan gesucht hat, dann ging es natürlich um
islamistische Untergrundkämpfer, die in Tadschikistan die Macht an sich reißen
wollen und die Nähe zu Afghanistan durfte selbstverständlich auch nicht
unerwähnt bleiben. Aber so einfach verhält sich die ganze Sache leider nicht
und noch weniger einfach lässt sie sich in dieses beliebte, vorgefertigte
Schema pressen.
Seit dem 22. Juli sind nun über zwei Wochen vergangen, in
denen ich mir oft überlegt habe, ob ich über die Vorfälle im Pamir schreiben
soll oder nicht. Das ist aber gar nicht so leicht, denn zum einen ist die
Verbindung nach Khorog unterbrochen, Festnetztelefone funktionieren zwar
meistens wieder, aber die Verbindung zu den Mobilfunktelefonen ist immer noch
gekappt, die Informationen fließen spärlich. Aus den Zeitungen erfährt man
leider wenig, denn die wichtigsten Internetseiten sind blockiert, darunter auch
YouTube und eine relativ staatlich unabhängige Zeitung. Dazu sind alle
Mitarbeiter der ausländischen Hilfsorganisationen aus Khorog evakuiert worden
und somit steht auch diese Informationsquelle nicht mehr zur Verfügung. Zum
anderen ist die Situation sehr komplex und schwierig darzustellen. Ich könnte
jetzt sagen, dass das der Hauptgrund dafür ist, warum ich vor dem Schreiben
zurückschrecke, aber es ist auch so, dass ich nächstes Jahr sehr gerne wieder
hierher zurückkommen möchte …
Tadschikistan ist nach der Unabhängigkeit von der
Sowjetunion im Jahr 1991 in einen Bürgerkrieg versunken, der in den Medien
gerne als ein Kampf zwischen Kommunisten und Islamisten dargestellt wurde.
Allerdings stimmt das nicht. Die tadschikische Gesellschaft funktioniert ganz
anders als unsere, sie besteht aus Familienclans, und so war der Krieg vielmehr
ein Konflikt regionaler Gruppen, in dem es nicht zuletzt auch um den Zugang zu
Ressourcen ging. Ganz einfach gesagt hatte sich der Norden mit dem Süden gegen
einen Teil der Bewohner in Zentraltadschikistan und der Region Gorno Badachschan (die
einen Großteil des Hochgebirges Pamir bedeckt) verbunden. Während der Kämpfe
wurde auch ganz gezielt gegen die ethnische Minderheit der Pamiris (also den
Bewohnern von Gorno Badachschan) vorgegangen. 1997 endete der Bürgerkrieg, der neue
Präsident (Emomali Rahmon) kam aus dem Süden, die Opposition (verschiedene
Parteien, unter anderem die Islamische Partei der Wiedergeburt, die NICHT
islamistisch, sondern moderat ist) sollte mit 30 % Beteiligung in die Regierung
eingebunden werden. Die Kämpfe haben mehr als 100.000 Todesopfer gefordert,
aber selbst solche erschreckenden Zahlen können die Gräuel eines Krieges nicht
beschreiben. Eine
Schnell-Zusammenfassung wie diese hier kann wirklich nur einen ersten groben Überblick bieten.
Seit 1997 kann der Präsident seine Macht im Land halten, das Verhältnis zwischen ihm und seinen Kontrahenten ist ... angespannt. Im Februar
nächsten Jahres sind Wahlen, was vielleicht eine Erklärung für die Aktion im
Pamir sein könnte. Gorno Badachschan hatte nach dem Krieg seinen Wunsch
durchsetzen können, eine autonom regierte Region zu werden, eine Tatsache, die
bei der Regierung wohl bis heute immer noch Vorbehalte auslöst. Der Pamir ist ein unwegsames
Gebiet und schwer zu kontrollieren. Außerdem verläuft durch den Pamir die
Hauptroute für Drogen und andere Schmugglerwaren von Afghanistan nach Russland
und Europa. Nicht zuletzt dadurch sind die dortigen ehemaligen Kriegsherren und
Oppositionellen wieder stärker und einflussreicher geworden. Grundsätzlich sind
die Pamiris aber ein sehr friedliches Volk, die sich mit den nördlichen Afghanen
sehr gut verstehen (zur Erklärung: die tadschikisch-pamirische Grenze verläuft
über eine lange Strecke an Afghanistan entlang, auf der afghanischen Seite
leben auch sehr viele Tadschiken, oft sogar Verwandte der Pamiris auf der
tadschikischen Seite). Die meisten werden jetzt wahrscheinlich sofort an
al-Qaida und dergleichen denken, aber islamistische Extremisten sind bei den
Tadschiken nicht sehr beliebt, weder die Taliban noch die Salafiten. Viele
Tadschiken sehen sich als Muslime an, aber nur die allerwenigsten wollen einen
muslimischen Staat, die meisten sind mit der Demokratie vollauf zufrieden.
Natürlich gibt es auch hier Extremisten (wo gibt es die nicht?), aber sie
spielen bei weitem (!!) nicht so eine bedeutenden Rolle, wie in anderen islamischen
Staaten.
Am Samstag, den 21. Juli war der regionale Leiter des KGB (oder
besser gesagt von deren
Nachfolgeorganisation) im Pamir nach einem Streit mit einem Offizier etwas außerhalb von
Khorog getötet worden. Am Sonntag waren mehrere hundert (andere Quellen sprechen von über 2000) Soldaten in Khorog einmarschiert, um die vier Männer, die an dem Mord beteiligt gewesen sein
sollen, zu ergreifen und gegen diejenigen mit Waffengewalt vorzugehen, die sich deren Häusern näherten. Nach Protesten durch die Bevölkerung und Rebellen kam es zu Schusswechseln. Die Stadtteile, in denen die gesuchten Männer gewohnt haben, wurde von Hubschraubern aus mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge sind in etwa 60 Menschen bei dem
Einsatz gestorben, anderen Angaben zufolge über 200, darunter viele
Zivilisten. In den Bergen um Khorog waren unzählige Scharfschützen
positioniert. In manchen Zeitungen stand, dass sie auch auf Menschen geschossen haben, nur weil sie in
ihren Garten gegangen sind.
Zwar haben die Rebellen und die Regierung sich nach
offiziellen Angaben inzwischen geeinigt, der Präsident verspricht jedem, der
sich freiwillig meldet und seine Waffen abgibt, Straffreiheit, bis auf die vier
gesuchten Männer, aber letzten Samstag waren die Scharfschützen scheinbar immer
noch in den Bergen positioniert, die Mobiltelefone funktionieren weiterhin
nicht, das Internet nur sporadisch, die Blockade von YouTube & Co ist noch
nicht aufgehoben und seit über einer Woche hört man überhaupt nichts Neues mehr. Wie es
scheint, hat sich die Lage wieder beruhigt, wirklich stabil ist sie aber wohl
noch nicht. Ausländer dürfen zurzeit nicht mehr nach Gorno Badachschan. Warum
nur?
Was soll ich sagen? Da sitzt man zu Hause in Deutschland und
hört immer von Krieg und Kämpfen in den Ländern „irgendwo da unten“, sei es nun
zum Beispiel Afghanistan oder Pakistan. Jetzt ist es Tadschikistan, und plötzlich
kennt man dort Menschen, hat Freunde und Bekannte, hat die Kultur und das Land
kennengelernt, lustige und spannende Dinge erlebt, ist durch die Straßen
gelaufen, war Einkaufen, war zu Gast bei Leuten, hat an deren Alltag teilgenommen... Ich hoffe sehr, dass die Situation
in Khorog nicht noch einmal eskaliert oder gar auf den Westen des Landes
übergreift. Momentan ist die Lage allerdings sehr schwer einzuschätzen. Es heißt immer, dass die Menschen in Tadschikistan keinen Krieg
mehr wollen, weil ihnen die Erinnerungen an den letzten noch tief in den
Knochen sitzen. Aber seit wann wird ein Krieg von den Vielen gemacht?
Wen die Einzelheiten über die aktuelle Lage wirklich
interessieren, dem kann ich gerne versuchen Rede und Antwort zu stehen (ich bin in drei Tagen zurück), auch wenn ich
natürlich kein ausgewiesener Experte bin. Und obwohl die meisten Online-Artikel,
meiner Meinung nach, die aktuelle Lage oft zu wenig umfassend darstellen, hier ein paar Seiten zum Nachlesen:
Asia Plus (www.asiaplus.tj),
EurasiaNet.org (http://www.eurasianet.org/), Radio Free Europe/Radio Liberty (http://www.rferl.org/), RIA Novosti, deutsch (http://de.rian.ru/)
Die Suchbegriffe in den Zeitungen sind im Deutschen
„Tadschikistan“ (logo, was sonst?), auf Englisch „Tajikistan“
In dem Blog Registan (http://registan.net/) und auf Qantara
(http://de.qantara.de/) finden sich interessante Beiträge, auch auf der Seite Pamirs – the
roof of the world (www.pamirs.org; in der rechten Spalte) und dem Blog Tethys (http://www.tethys.caoss.org/).
Und wer Russisch kann ist klar im Vorteil:
vesti.ru (http://www.vesti.ru/), ria.ru (http://de.rian.ru/), ferghana.ru (http://www.ferghana.ru/), centrasia.ru (http://www.centrasia.ru/) und BBC russian (http://www.bbc.co.uk/russian/)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen